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Was der Delicate Arch mit Inklusion zu tun hat

Ein Loch im Fels macht den großen Unterschied

Ankunft in Utah, USA

Nach einem langen Flug von deiner Heimatstadt nach Utah, USA, kommst du erschöpft an. Am Flughafen geht es hektisch zu und es ist laut und als du vor die Tür trittst, erschlägt es dich fast vor Hitze. Du entkommst der Hektik mit deinem Mietwagen, der dich in gemächlichem Tempo über lange Straßen immer weiter in die Wüste bringt. Du fährst durch den berühmten Arches-Nationalpark. Dein Ziel ist die Wolfes Ranch. Dort ruhst du dich aus und genießt die Stille der Steinwüste.

Am nächsten Tag machst du dich auf den Weg zu einem der Wahrzeichen des Parks: dem Felsbogen Delicate Arch. In Jahrhunderten entstand durch Wind und Wetter ein Loch in dem Sandsteinfelsen. Der Anblick ist wunderschön und auf einmal irritierend. Warum sieht gerade dieser Felsen so besonders aus?

Das Loch im Felsen

Natürlich, es ist das Loch. Du stellst dir vor, das Loch sei auf einmal weg. Der Wind der vergangenen hundert Jahre hätte anders geweht, der Regen anders geschauert, die Sonne weniger geschienen. Kein Loch, kein berühmter Felsen. Der Brocken hätte wahrscheinlich nicht mal einen Namen. Was ihn so besonders macht, ist einzig und allein das, was ihm fehlt. Und nicht das, was da ist.

Das Nichts braucht ein Etwas

Ein Loch ist etwas Einfaches, Profanes. Aber plötzlich wird es interessant. Denn es kann für sich selbst gar nicht sein. Ein Loch ohne Drumherum wäre kein Loch mehr, sondern einfach nichts. Es wird also erst dann zu etwas Benennbarem, wenn es durch etwas anderes definiert wird. Es muss umgeben sein, um zu existieren. Es wird vom Nichts zum Etwas, ohne dass sich die Luft, die Atome und Moleküle, die es ausmachen, verändern. Es wird dadurch zum Etwas, dass um es herum etwas existiert, der Fels. Gleichzeitig gewinnt die tausendfach vorhandene Gestalt des Felsens an Besonderheit, weil ihm nun ein Teil fehlt. Das, was nicht mehr da ist, macht ihn erst zu dem besonderen Felsen, den du dir gerade betrachtest.

Was hat das mit mir zu tun?

Wenn nicht irgendwas völlig schief gelaufen ist, lebst du wahrscheinlich in irgendeiner Form von Gesellschaft. Hoffentlich fühlst du dich als Teil davon, vielleicht aber auch nicht. Sehr wahrscheinlich gibt es aber in dieser Gesellschaft einen Normalitätsbegriff. Es ist normativ, gesetzlich, psychologisch und medizinisch festgelegt, wer und was normal ist, und wer und was eher nicht.

Vielleicht ist es nicht normal und du wirst komisch angeguckt, wenn du als Mann in Strumpfhosen und Kleid rumläufst. Oder aber du wirst in der UBahn von allen verlegen angeguckt, weil du gern mit dir selbst redest, sonst aber ganz gut klarkommst. Vielleicht wunderst du dich aber im nächsten Moment auch und wirst in deinem Selbstgespräch gestört, weil du von einer Frau, die nur sehr schlecht deutsch spricht, um eine kleine Spende gebeten wirst.

Normalität braucht Abweichler

All das, was andere und vielleicht du selbst hier als normal oder unnormal, als unauffällig oder unangenehm wahrnehmen, ist kontextabhängig. Die Übereinkunft der Mehrheitsgesellschaft darüber, was normal ist, wäre unmöglich, wäre nicht immer wieder das zu sehen, was unnormal und abzulehnen ist. Das behagliche Gefühl, normal zu sein und alles richtig zu machen, tritt immer dann am stärksten ein, wenn dir der Unnormale gegenüber steht. Vielleicht schwingt ein bisschen Mitgefühl, vielleicht auch Mitleid oder einfach nur Ignoranz mit.

Vielleicht bist du aber auch in der nächsten Situation selbst der Unnormale. Du tust nichts anderes als die anderen, siehst aber vielleicht anders aus oder liebst als Frau nun mal Frauen statt das andere Geschlecht. Das Gefühl der Überheblichkeit, der Abgrenzung, schlägt dir mal wie ein leiser Windhauch, mal wie ein Sturm entgegen. Aber es ist immer Gegenwind.

Aber um Wind zu spüren, braucht es etwas, an dem er sich bricht. Wie das Loch im Fels. Eine Definition der Normalität (Loch) ist nur durch eine Definition des Abnormen möglich (Fels). Normalität kann also nie selbstreferenziert sein, sondern besteht immer und ausschließlich in Abhängigkeit, zu dem oder denjenigen, von denen sie sich abgrenzt.

Keine Normalität ohne Ausgrenzung

Diese Erkenntnis ist tragisch für all jene, die herhalten müssen, um den Normalitätsbegriff zu definieren: die sogenannten Randgruppen. Denn mit der Etikettierung, aufgrund eines oder mehrerer Merkmale, nicht zu den Normalen zu gehören, werden diese Menschen ausgegrenzt. Sie sind Opfer des Normalitätswahnsinns, der insbesondere im medialen Mainstream (Werbung, Fernsehserien und -filme, Youtuber) gut zu sehen ist. Unsere moderne, hochindustrialisierte, effiziente und gesunde Gesellschaft braucht den Gegenpol um sich noch ein bisschen gesünder zu fühlen. Dabei bleiben oft die auf der Strecke, die von dieser Entwicklung hin zu mehr Gesundheit und Wohlstand ganz besonders profitieren könnten. Menschen mit Behinderung, Alleinerziehende Eltern, Menschen nichtdeutscher Herkunft oder Menschen aus strukturschwachen Regionen sind nur einige Beispiele für Gruppen, die strukturell und dauernd benachteiligt werden. Sie sind von vielen gesellschaftlichen Prozessen ausgegrenzt.

Es ist nicht schön, ausgegrenzt zu werden. Nun kann sich ein großer Teil der Menschen auf der vermeintlichen Sicherheit ausruhen, auf der sicheren Insel zu sitzen und nicht ausgegrenzt zu werden. Es reicht also ein bisschen Mitgefühl und ab und an eine Spende, oder? Aus zwei Gründen ist das ein Trugschluss. Erstens: Jede_r kann ganz flott selbst zu den Ausgegrenzten gehören. Entweder dadurch, dass sich die eigenen Lebensumstände, meist unerwartet, verändern. Oder aber dadurch, dass sich die Gesellschaft verändert und du das in deinem Mikrokosmos verpasst hast. Niemand ist also davor sicher, ausgegrenzt zu werden. Viel wichtiger ist aber ein anderer Grund: Die europäische Union begreift sich als aufgeklärte, den Menschenrechten verpflichtete, humanistische Wertegemeinschaft. Die Ausgrenzung vom Menschen aufgrund einzelner, willkürlicher Merkmale passt dazu nicht. Es ist deshalb sowohl aus individueller, wie auch aus sozialpolitischer und ethischer Sicht nicht in Ordnung, Ausgrenzung weiter zuzulassen.

Und die Lösung nach all dem Gemecker?

Bis hierher hast du während der Betrachtung des Felsens festgestellt: Das Loch gibt’s nur weil es den Felsen drumherum gibt. Wenn das Loch den Normalitätsbegriff darstellt, gibt es den also nur, wenn es das Drumherum, das Abnorme gibt. Übertragen auf Menschen ist es aber nicht grad der Kracher, als abnorm zu gelten. Was also tun?

Wie wäre es, denn Begriff „normal“ radikal in Frage zu stellen? Oder ganz abzuschaffen? Es gibt dabei ein Problem: eine Vorstellung von normal versus unnormal gibt vielen Menschen eine Orientierung, die in der zwischenmenschlichen Begegnung wichtig ist, um sich zurechtzufinden. Es bräuchte also eine andere Möglichkeit, sich zu orientieren. Herauszufinden, welche das ist, ist eine der Herausforderungen der nächsten Jahre. Die schwarz-weiß Skala normal/unnormal, basierend auf Vorurteilen, kann es nicht mehr sein.

Also: öfter mal fragen, ob man sein Gegenüber nicht vorschnell in eine Schublade packt. Testet euch dazu einfach mal selbst bei unserem Projekt Faces. Die Einteilung in gut/böse, normal/unnormal, weiblich/männlich usw. ist fast immer Unsinn und für die meisten Begegnungen unnötig. Begegnet dem Menschen dem ihr gegenübersteht oder -sitzt, nicht dem, den oder die ihr erwartet.

 

Zurück zum Loch im Fels

Sowohl eine moderne und der an der Zukunft ausgerichtete Wertegemeinschaft, wie auch der Delicate Arch haben eines gemeinsam: Sie funktionieren nur als Gesamtbild. Das Bild ist zusammengesetzt aus vielen Facetten. Das Loch in der Mitte, der das Loch umgebende Fels. Der Fels besteht aber auch aus verschiedenen Materialien, hat Unregelmäßigkeiten und kleine Löcher. In dieser Gesamtheit, mit allem was dran ist, fehlt, ihn strukturiert und die Struktur wieder durchbricht, sieht der Delicate Arch so einzigartig aus, wie er ist. und genau so einzigartig ist jede_r Einzelne von uns.

Berglandschaft. Im Vordergrund ein roter Fels im Sonnenlicht.
Großer Fels mit Loch, darunter steht eine Person. Sternenhimmel im Hintergrund.
Berglandschaft. Im Vordergrund ein roter Fels im Sonnenlicht.
Loch in Felswand. Im Hintergrund Wasser.

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Was der Delicate Arch mit Inklusion zu tun hat
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